Sünde 7 - Hygienezwang

Wer nach dem Sexualakt so schnell wie möglich Abstand sucht und unter die Dusche springt, begeht wahrlich eine Todsünde. Denn so jemand sieht den Sex als etwas Schmutziges. Das wahre Seelenheil aber finden wir nicht im Reinwaschen, sondern in der Hingabe und in der Nähe – und dabei geht es nun einmal nicht immer ganz hygienisch sauber zu.

»Es war die perfekte Technik, aber ohne das gewisse Etwas«

Neuwied: Christiane (41) vermisst etwas bei Peer (36).

Unsere Geschichte dauerte kurz, sie fing unspektakulär an und endete schal: Ich bekam Besuch von einem Fachmann eines Sanitätshauses für Senioren. Meine Mutter wollte zu uns ziehen, und es mussten ein paar Kleinigkeiten umgebaut werden. Er war ein schöner Mann, das fiel mir sofort auf – sehr schlank, gleichmäßiges, symmetrisches Gesicht und die Haare mit Gel vorne ein bisschen hochgedreht, so wie sich momentan viele Männer stylen, breites Lachen. Und seriös gekleidet, im dunklen Anzug. Halt so ein Verkäufertyp, wie man ihn erwartet. Mich hat am Anfang nur gestört, dass sein Händedruck kalt und feucht war. Auch die Wolke aus Nikotin, die er mit sich brachte, nahm mich nicht unbedingt für ihn ein. Aber ich wollte ja auch nicht ins Bett mit ihm, sondern meinen Krempel so schnell wie möglich erledigen.

Schön war er ja, wenn auch nicht unbedingt mein Typ

Nachdem das Geschäftliche geklärt war, blieb er einfach am Küchentisch sitzen, wo wir uns in die Unterlagen vertieft hatten. Ich war sein letzter Termin für diesen Tag, es war auch schon neun Uhr abends, und er wollte offenbar noch ein bisschen reden. Nun gut, ich wollte nicht unhöflich sein, zumal er mir wirklich geholfen hatte, und bot ihm ein Glas Wein an. Das löste seine Zunge, und er wurde ganz anders als vorher. Gesprächiger, witziger, lockerer. Mit einem Mal waren wir auch beim Du. Ich fragte ihn, was er sonst so mache, und er erzählte mir vom Billardspielen. »Und das tust du auch mit Anzug?«, fragte ich ihn, wahrscheinlich doch ein bisschen flirtend. Ich wollte eigentlich nichts von ihm, aber andererseits war ich sexuell etwas ausgehungert. Ich habe zwei kleine Kinder und einen Ehemann, der sich aus dem Staub gemacht hat und nicht mal richtig Unterhalt zahlt. Da blieb für mich, mit Kindern und Arbeit, nicht viel Zeit, um auszugehen und Männer kennenzulernen. Vielleicht wurde Peer deshalb im Laufe des Abends immer attraktiver für mich. Schön war er ja, wenn auch nicht unbedingt mein Typ. Jedenfalls berichtete er, dass er manchmal tatsächlich im Anzug spiele, aber in einem maßgeschneiderten Lederanzug. Ehrlich gesagt, wusste ich bis dahin nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.

Als er mich das nächste Mal besuchte – ich musste noch einiges unterschreiben – staunte ich nicht schlecht. Wir hatten wieder einen Abendtermin, dann sind meine Kinder im Bett und ich habe meine Ruhe. Und da stand er – in einem schwarzen Anzug aus weichem, feinem Leder. Wow! Als Oberteil trug er ein schwarzes T-Shirt, so ein bisschen netzartig gewebt. Da musste ich echt hingucken. Nicht schlecht! Er grinste mich breit an und gab mir einen Kuss links und rechts auf die Wange. Und eine Flasche Wein drückte er mir außerdem in die Hand, einen schweren roten Shiraz. Der war aber nicht auch noch als Geschenk verpackt.

Nach den Unterschriften entkorkte ich seinen Wein. Mit Peer war eine Verwandlung vor sich gegangen. Er saß breitbeinig da, freute sich offensichtlich darüber, dass er mich mit seinem Outfit überrascht hatte, und hielt mir sein Weinglas entgegen. Ich wollte ihm einschenken und stand direkt vor ihm. Da zeichnete sich doch, gut sichtbar durch die feine Lederhose, ein wirklich ansehnlicher Ständer ab. Jetzt musste ich auch grinsen. Er verstand warum und zog mich zu sich auf seinen Schoß.

Nun gut, es kam, wie es kommen musste. Wir landeten im Bett. Seine Hände waren jetzt angenehm warm. Und sein Ständer war tatsächlich enorm groß. Der Sex war gut. Peer ließ sich immer wieder neue Stellungen einfallen. Er reagierte sofort und stellte sich auf mich ein, wenn ich das Tempo etwas anziehen oder sonst etwas Neues wollte. Es war eigentlich perfekt. Ihm schien es auch zu gefallen. Als er dann in mir kam, hatte ich mehrere Orgasmen gehabt und war zufrieden. Bis dahin war alles okay. Doch dann zog er seinen Schwanz aus mir heraus und ließ sich mit dem größtmöglichen Abstand zu mir auf die Matratze fallen. Aber auch da blieb er nicht lange, sondern nahm seine Sachen, sprang unter die Dusche und kam dann völlig angekleidet wieder zurück. »Sei mir nicht böse«, begann er vorsichtig, »aber nach dem Sex kann ich keine Berührung ertragen. Das hat nichts mit dir zu tun, mit meiner Freundin früher war es genauso.«

Peer brachte einen Penis zum Umschnallen mit

Von nun an besuchte mich Peer ein- bis zweimal in der Woche, wir gingen miteinander ins Bett, und dann verließ er mich wieder. Ich habe auch ein paar erotische Fummel zu Hause, und so sprachen wir uns jedes Mal vorher ab: transparent, Lack oder Leder? Wenn wir uns auf transparent einigten, trug er als Unterwäsche so halbdurchsichtige Sachen. Es sah immer sehr gut aus, nie peinlich. Einer seiner Slips hatte feste Nähte, der Bereich über seinem Schwanz war blickdicht, aber wölbte sich schön hervor, der Rest ließ einen knackigen Arsch sehen. Manche Oberteile waren hauteng, andere waren netzartig, so wie beim ersten Mal. Wenn wir uns auf Leder einigten, dann sah er etwas derber aus. Peer brachte auch andere Überraschungen mit, so zum Beispiel einen Penis zum Umschnallen, befestigt an einem Tangaslip aus festem Leder. Wenn ich hineinschlüpfte und irgendwelche Schnallen festzurrte, sah es so aus, als hätte ich einen Penis. Und was für einen! Peer hatte eine Riesendimension gewählt. Er machte auch immer Fotos von uns, und dieses Foto mit meinem Ständer besitze ich immer noch. Er kniete sich dann hin, legte seinen Oberkörper runter und streckte mir seinen Po entgegen. Dann bearbeitete ich seinen After mit einer Gleitcreme und drang mit dem umgeschnallten Dildo in ihn ein. Zuerst dachte ich: »Das geht doch gar nicht.« Aber als ich dann vorsichtig etwas mehr drückte, gab sein After nach. Es war ganz leicht. Peer hatte mir erzählt, dass er bi sei, er war es also offenbar gewohnt. Für mich war es eine tolle Vorstellung, ihn mit diesem Riesending zu ficken. Ich habe ihn dann so lange damit bearbeitet, bis er stöhnte und offenbar einen Orgasmus hatte, auch wenn er dabei nicht abspritzte.

Solche Dinge machten wir. Er fesselte mich auch, oder ich ihn. Wir befriedigten uns selbst, während der andere zuschaute und Fotos machte. Wir schauten zusammen Pornos, aber was für welche. Dazu sag ich jetzt wirklich nichts. Einmal übernachteten wir sogar zusammen in seinem Bett. Das war zwei Meter breit, und wir konnten sehr weit auseinander liegen. Denn dieser Punkt hatte sich nicht geändert. Nach dem Sex zuckte er richtig zusammen, wenn ich ihn anfasste. Und er musste sofort unter die Dusche. Da war noch ein Punkt: Er rasierte sich vorher immer, bevor er zu mir kam. Aber alles. Achselhaare, die intimen Haare und sogar ein paar Haare auf der Brust und auf dem Rücken. So als wollte er eine Art Ken sein – obwohl ich sicher nicht wie Barbie aussehe – und alles körperlich Natürliche beseitigen. Das fand ich auch merkwürdig. Und abgesehen davon waren abends die Haare, die er morgens wegrasiert hatte, wieder stoppelig nachgewachsen, was dann ziemlich störend war.

Es war, als ob mich ein Callboy besuchte

Ich habe die Beziehung nach einigen Monaten beendet. Der Sex mit ihm war perfekt und abwechslungsreich. Peer war oft einfühlsam, dann aber auch wieder sehr männlich. Es gab einfach nichts zu bemängeln. Trotzdem fehlte mir das gewisse Etwas. Der Sex war fast klinisch. Es fehlte einfach die Hingabe, der Wunsch, in den anderen hineinkriechen zu wollen, ganz egal, ob er schwitzt oder einen Pickel hat. Man will doch die Gerüche des Partners geradezu aufsaugen und kann gar nicht genug davon bekommen. So stelle ich mir jedenfalls erfüllenden Sex vor. Ich muss oft an das Lied von Klaus Lage denken, in dem er eine verflossene Liebe besingt: »Zeig dich frühlingsfrisch den andern Kerlen, zeig ihn’ meinetwegen mehr, nur dein Schweiß, die kleinen Perlen, die gib bitte niemand her.« Und deswegen ist »Hingabe« für mich das Zauberwort beim Sex. Aber mit Peer war es, als ob mich ein Callboy besuchte: Er spulte perfekt sein technisches Programm ab, duschte und ging. Das wollte ich irgendwann nicht mehr.

Viel später gab es wegen meines Umbaus noch einmal etwas zu bereden. Bei der Gelegenheit gestand mir Peer, dass er sich damals heftig in mich verliebt und eine richtige Beziehung gewollt hatte. Da war ich dann doch betroffen. Hatte ich ihn so völlig falsch eingeschätzt? Er ist übrigens heute mit einem Pärchen zusammen und ganz zufrieden. Ich bin nach dieser kurzen Episode leider wieder alleine.

Oswalt Kolle ganz persönlich

»Durch das Duschen will er den Sex ungeschehen machen«

Der amerikanische Schauspieler Woody Allen wurde einmal gefragt, ob er Sex für schmutzig hält. Seine Antwort: »Ja, wenn er gut ist.« Das Tierische, Wilde und Schmutzige beim Sex ist oftmals ein Ausgleich für einen Alltag, in dem Höflichkeit, Freundlichkeit und Angepasstheit die Regeln bestimmen. Man will dann die eigenen Grenzen überspringen, und es entsteht eine totale Hingabe, bei der eben keine »Anstandsregeln« mehr gelten – und auch nicht gelten sollten. Aus der Erzählung von Christiane ist herauszulesen, dass sie Sex so versteht. Nicht aber Peer, der den Akt wohl mehr als hygienischen Vorgang betrachtet, an dessen Ende Reinheit und Sauberkeit stehen sollten. Doch sei hier kurz angemerkt: Generell ist es so, dass viele Männer nach dem Sex am Penis sehr empfindlich sind. Erzwingen Sie als Partnerin in dem Fall kein Kuscheln und Streicheln. Das macht beide nur unglücklich. Normal ist auch, wenn ein Mann nach dem Sex einschläft. Das ist rein biologisch begründet: Der Blutdruck, der zuvor stark erhöht war, fällt ab, bei manchem Mann geht er sogar richtig in den Keller, und dementsprechend erschöpft fühlt er sich erst einmal. Hormonelle Veränderungen nach dem Orgasmus verstärken außerdem die Müdigkeit. Und dann fallen ihm eben die Augen zu. Nehmen Sie es ihm nicht übel. Damit vergällen Sie sich nur das schöne Erlebnis zuvor.

Vermutlich geht es in der Geschichte mit Peer und Christiane aber um mehr, nämlich um Peers Einstellung zur Sexualität und alles, was dazugehört, wie Intimität und Hingabe. Mir scheint es, als hätte Peer richtig Angst vor Intimität – übrigens eine typische Männerangst. Die Fixierung auf das richtige Outfit – Leder, Lack und so weiter – beim Sex spricht dafür. Denn es war nicht die Rede davon, dass die beiden sich auch einfach einmal nackt und ohne Drumherum dem Sex hingegeben hätten. Und so scheint mir das Outfit wie eine Barriere zwischen den beiden gestanden zu haben.

Oft entsteht die Angst vor Intimität, wenn jemand in einem zärtlichkeitsarmen Zuhause aufgewachsen ist. Und wenn es auch noch ein Junge war, der mit den Eltern kuscheln wollte, hieß es vielleicht zu oft: »Lass das, du bist doch ein Junge.« Und das wirkt bis ins Erwachsenenalter nach: Ein solcher Mann hat gelernt, sein Bedürfnis nach Zärtlichkeit zu verbergen, um sich nicht schutzlos auszuliefern.

Dass Peer direkt nach dem Sex unter die Dusche springt, zeigt für mich, dass er sich unbehaglich fühlt. Er will das, was noch auf das soeben Vollbrachte hindeutet, nämlich den Geruch nach der Feuchtigkeit der Frau und nach seinem eigenen Sperma, quasi ungeschehen machen, indem er es schnellstmöglich abwäscht. Es drängt sich der Eindruck auf, Sexualität sei für Peer etwas Schmutziges. Dahinter steckt die Angst vor dem Animalischen. Oder vielleicht hat Peer auch in der kritischen Phase seiner Kindheitsentwicklung prägende Erfahrungen gemacht, die bis heute nachwirken (siehe dazu Kapitel 1 – das Brückenexperiment).

Generell haben übrigens viele Menschen, Männer und Frauen, Angst davor, sich völlig hinzugeben und zu losgelöst zu wirken. Sie haben Angst, zu laut zu stöhnen, weil sie nicht wissen, wie sie dann auf den Partner oder die Partnerin wirken. Insbesondere Frauen haben gelegentlich auch Angst um ihre Frisur, also weniger davor, die Haare anschließend wieder richten zu müssen, sondern dass sie während des Sexualaktes eventuell nicht so vorteilhaft aussehen. Natürlich muss dem anderen nicht alles gefallen, was er sieht, aber man muss das Vertrauen haben, dass es ihn auch nicht stört, sondern ihm in dem Moment einfach egal ist, weil es um Wichtigeres geht. Deswegen spricht die Fähigkeit zur Hingabe zum einen für eine gute, vertrauensvolle Beziehung, zum anderen aber auch für ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Bei Peer war es nun so: Er scheint insgesamt etwas unsicher zu sein, wofür auch die kalten, feuchten Hände bei der ersten Begrüßung sprechen. Im Rausch der sexuellen Gefühle gelang es ihm offensichtlich, seine Ängste oder Bedenken teilweise zu vergessen. Seine starke Fixierung auf die äußerliche Kleiderordnung im Bett gibt ihm weitere Sicherheit, er muss sich nicht ganz nackt zeigen und kann körperliche Mängel verstecken. Doch umso stärker kamen Ängste und Bedenken danach, wenn der Akt beendet war, wieder in sein Bewusstsein.

Was haben Hingabe und Vertrauen mit Hirn und Hormonen zu tun?

Ob jemand das Vertrauen entwickelt, das nötig ist, um sich einem anderen Menschen voll und ganz hingeben zu können, ist eine Frage, mit der sich vor allem die Psychologie beschäftigt hat. Mittlerweile weiß man aber auch einiges über Abläufe im Gehirn und im Hormonhaushalt, die mit der sexuellen Hingabe in Zusammenhang stehen.

Die Rolle des Hormons Oxytocin

Eine Studie der Universität Bonn und des Babraham-Instituts Cambridge unter der Leitung von René Hurlemann zeigte erstmals, dass Oxytocin durch Dehnung der Geschlechtsorgane bei der Geburt und durch den Saugakt beim Stillen ausgeschüttet wird. Deswegen galt es lange Zeit auch ausschließlich als Mutterschaftshormon. Doch mittlerweile ist bekannt: Oxytocin wird freigesetzt, wenn sich Liebende zärtlich anfassen, liebevoll ansehen oder sich nette Dinge ins Ohr flüstern. Allerdings, so schreibt die Neurobiologin Louann Brizendine in ihrem Buch »Das weibliche Gehirn«, haben Männer nur halb so viel Oxytocin im Gehirn wie Frauen. Das erklärt vielleicht, weshalb Männern das Image der raubeinigen Kerle anhaftet und für sie Hingabe schwieriger ist als für Frauen. Glaubt man einer Studie der schwedischen Wissenschaftlerin Kerstin Uvnäs-Moberg, müssen Männer zwei- bis dreimal häufiger berührt werden als Frauen, damit sie auf den gleichen Oxytocingehalt im Gehirn kommen.

Die Frage ist, ob dieser Aspekt auch Peer aus Christianes Geschichte geholfen hätte. Sein fluchtartiges Verhalten spricht nämlich eher dafür, dass er Hingabe gar nicht anstrebte oder dass ihm das nötige Vertrauen dafür fehlte. Laut Psychoanalyse bildet sich das Vertrauen in den ersten Kindheitsjahren, wenn sich auch die Bindung zu den Eltern entwickelt. Beziehungsweise es ist vielmehr von Anfang an ein Urvertrauen vorhanden, das aber besonders in den ersten Jahren durch Defizite im Verhältnis zu den Eltern oder anderen Bezugspersonen gestört werden kann. Vernachlässigung, Lieblosigkeit und Gewalt sind die schlimmsten und auch häufigsten Verfehlungen, die Eltern an einem Kind begehen können. Allerdings besteht in Bezug auf Bindung und Urvertrauen doch auch wieder eine Verbindung zu Oxytocin. Denn beim Baby wird durch Saugen und Hautkontakt ebenfalls Oxytocin freigesetzt und damit die soziale Interaktion angeregt, Angst reduziert und Entspannung hervorgerufen – also Vertrauen hergestellt. Und auch wenn eine Person erst später immer wieder enttäuscht wird, wird sie irgendwann aus Selbstschutz lernen, möglichst kein Vertrauen zu anderen Menschen zu entwickeln.

Die weibliche Ejakulation

Totale Hingabe kann zum totalen Orgasmus führen. Bei ungefähr einem Drittel aller Frauen, so die Ärztin Sabine zur Nieden in ihrer Dissertation, kommt es dann zur weiblichen Ejakulation. Das ist ein Flüssigkeitserguss, wobei es sich allerdings nicht um Urin, auch nicht um die normalen Vaginalsekrete handelt. Die Flüssigkeit kommt – jedenfalls zum Teil – von Drüsen, die sich neben der Harnröhre befinden. Ihre Zusammensetzung ist jedoch noch nicht analysiert, und man weiß auch noch nicht, wie genau der Erguss ausgelöst wird. Denn es ist naturgemäß schwierig, die Momente stärkster Erregung, Enthemmung und Hingabe, die für die weibliche Ejakulation offensichtlich wichtig sind, unter wissenschaftlichen Bedingungen herzustellen. Sie zeigt aber deutlich, dass das Hingeben und Loslassen tatsächlich auch einen Kontrollverlust mit sich bringt. Dem Mann wird dies selbstverständlich zugestanden: Er erlebt normalerweise den Orgasmus zeitgleich mit dem Herausschleudern des Ejakulats, was einen besonderen Gefühlsreiz ausmacht. Wenn es bei Frauen unter bestimmten Umständen zu einem ähnlichen Phänomen kommt, schämen sie sich manchmal deswegen, zumeist aus Unsicherheit. Die größte Unsicherheit besteht darin, dass sie zu urinieren glauben, was aber nicht der Fall ist. »Erst seit ich weiß, dass es weibliche Ejakulationen gibt, erlebe ich meine Ergüsse viel lustvoller und zweifle nicht mehr an meiner Normalität«, zitiert Sabine zur Nieden eine der von ihr befragten Frauen. Und wie reagieren Männer darauf? Viele Männer finden die weibliche Ejakulation gut, für sie ist sie ein Kompliment, weil sie wissen, dass Frauen sich in dem Moment tatsächlich hingeben. Allerdings gibt es auch Männer, denen das nicht gefällt, meist übrigens ebenfalls aus Unkenntnis.

Denken und Fühlen machen den Sex abwechslungsreich

Das heißt nun nicht, dass man sich immer nur permanent hingibt, sich treiben lässt und sich ständig empathisch und emotional verhält. Vielmehr sollte dieser Zustand auch reflektiv begleitet werden. Denn mit den rationalen Anteilen des Gehirns entscheiden wir, welche Stellungen gewählt und welche Variationen ausprobiert werden. Wir überlegen, wie man den Partner oder die Partnerin bestmöglich erregt und wann es Zeit wird, ihn oder sie mal wieder ein bisschen auf die Folter zu spannen. Auch ein zeitlicher Aspekt will bedacht sein: Welche Tageszeit ist die beste? Und wie viel Zeit will man für den Sexualakt einräumen?

Zum Glück ist das menschliche Gehirn dazu fähig, in einer Situation die zwei verschiedenen Seinszustände – den sich selbst vergessenden und den rationalen – abwechselnd einzunehmen. Im hingebungsvollen Zustand können wir ein Erlebnis staunend und gefühlvoll empfinden. Im rationalen Zustand können wir versuchen, es denkend zu begreifen. Zurück zur Hingebung und in die gefühlte Gegenwart gelangt man, indem man zum Beispiel seine Atemzüge verfolgt oder sich wieder ganz auf den gemeinsamen Rhythmus mit dem Partner einlässt. So macht das Zusammenwirken aus rationalem Denken und gefühlvollem Staunen die Sexualität erfolgreich und abwechslungsreich. Und ein optimaler Liebespartner ist sowohl hingebungsvoll und emotional als auch rational und kontrolliert.

Schauen wir noch einmal auf die Geschichte: Um Peer zu helfen, doch noch zu einer hingebungs- und vertrauensvollen Sexualität zu finden, hätte ihn Christiane lieben oder ihm zumindest starke Gefühle entgegenbringen müssen, die aber von ihrer Seite aus nicht gegeben waren. Insofern war diese Geschichte wahrscheinlich tatsächlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Der heiße Tipp

Wie Sie sexuelle Hingabe lernen können

Das ist das große Geheimnis in der Sexualität: Wie gebe ich mich hin? Wie setze ich mich darüber hinweg, dass ich beruflichen Stress habe? Wie vergesse ich, dass ich zu viel wiege, dass meine Haut nicht rundum glatt ist und dass ich beim Sex merkwürdige Grimassen schneide, die ich später lieber nicht auf einem Foto sehen möchte?

Machen Sie sich zunächst einmal klar, dass hinter diesen Befürchtungen eine Neigung zur Kontrolle steht. Wahrscheinlich stehen Sie beruflich unter dem Zwang, nie Ihr Gesicht zu verlieren und sich immer perfekt und unangreifbar zu zeigen. Nun übertragen Sie dies auch auf Ihr Sexualleben, haben Angst davor, beim Sex das Gesicht zu verlieren, sich weich und aufgelöst zu zeigen. Doch was im Beruf der Karriere dient, kann beim Sex den besten Orgasmus verhindern. Um ihm doch ein Stück näher zu kommen, erstellen Sie zunächst eine Liste mit zehn peinlichen und unangenehmen Vorkommnissen, die Sie beim Sex besonders gerne vermeiden möchten. Dann bringen Sie die Ereignisse in eine hierarchische Reihenfolge. An Punkt 1 steht das, was Sie am wenigsten fürchten, an Punkt 10 Ihre größte Angst. Zum Beispiel so:

1: Ich habe Angst, dass meine Frisur durcheinandergerät.

2: Ich habe Angst, dass sich bei manchen Bewegungen mein Bauch herauswölbt.

3: Ich habe Angst, dass sich Schweiß unter den Achseln bildet.

4: Ich habe Angst, dass mein Gesicht verzerrt aussieht, wenn ich einen Orgasmus bekomme.

5: Ich habe Angst, dass hinterher Flecken auf dem Laken zu sehen sind.

6: Ich habe Angst, dass er ohne Vorwarnung in meinem Mund kommt (dass ich unkontrolliert zum Höhepunkt komme).

7: Ich habe Angst, dass uns die Nachbarn hören.

8: Ich habe Angst, dass ich nicht feucht werde / dass ich keinen hochkriege.

9: Ich habe Angst, dass ich einen falschen Namen rufe.

10: Ich habe Angst, dass ich beim Orgasmus furze.

All diese Ängste tragen dazu bei, dass Sie sich gar nicht mehr trauen, irgendetwas etwas Schönes, Neues, Ungewohntes zu tun oder die Empfindungen zu genießen und sie mit wilderen Bewegungen noch zu verstärken. Denn je weniger Sie sich kontrollieren, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen die Punkte eins bis zehn widerfahren. Aber wenn Sie das Bett genauso perfekt gestylt verlassen wollen, wie Sie es bestiegen haben, besteht die Gefahr, dass Sie dort keinen Genuss erleben.

Deswegen nehmen Sie sich jetzt Ihre Ängste und Peinlichkeiten Schritt für Schritt vor, beginnend mit Ihrer Nummer 1. Überlegen Sie zunächst, ob Sie vorbeugen können, zum Beispiel mit einem Pferdeschwanz, der nicht so leicht verrutscht, anstatt mit einer kunstvollen Fönfrisur. Oder indem sich beide Partner spielerisch die Augen verbinden. Dies hat gleich mehrere Vorteile: Der visuelle Aspekt fällt einfach weg, Sie müssen also keine Angst mehr haben, dass Sie optisch nicht in jedem Moment hundertprozentig perfekt aussehen. Zudem werden die anderen Sinne, wie Hören, Schmecken und Tasten, geschärft, was den Sex ebenfalls interessanter machen kann.

Zu Punkt neun: Im Zustand der höchsten Lust einen fremden Namen zu schreien, ist im ersten Moment höchst peinlich, und man möchte am liebsten in der Matratze versinken. Auch der Partner wird dies wahrscheinlich zunächst einmal ziemlich schlimm finden. Aber was ist passiert? Sie denken beim Orgasmus nicht mehr logisch. Die Hirnforschung kann dies sogar beweisen, denn sie zeigte, dass beim Orgasmus die Hirnhälften entkoppelt werden und kaum mehr miteinander kommunizieren. Das heißt, der Name, der gerufen wird, schlummert vielleicht noch irgendwo im motorischen Gedächtnis, ist aber in diesem Moment sicher nicht mit der entsprechenden Person verknüpft. Doch bevor Sie dies Ihrem Partner lang und breit erklären müssen, bauen Sie lieber vor. Flüstern Sie den Namen des oder der Liebsten generell häufiger im Bett, dann kommen Sie nicht durcheinander. Auch ein guter Trick: Verwenden Sie beim Sex immer nur neutrale Bezeichnungen: mein Süßer, mein Schatz, mein Liebling usw.

Zu Punkt 10 sei noch gesagt: Im Rausch empfindet und wertet man anders als im Alltagsleben. Es ist natürlich nicht sicher, dass es Ihren Partner anmacht, wenn Sie während des Geschlechtsaktes allerlei Töne von sich geben. Aber die meisten Männer sind wahrscheinlich begeistert, wenn Sie Ihrer Liebsten so viel Lust bescheren, dass diese nicht mehr an sich halten kann. Frauen umgekehrt auch.

Wenn auf Ihrer Liste Punkte stehen, die Sie nicht vorbeugend vermeiden können, dann überlegen Sie sich, was passieren könnte, wenn das befürchtete Ereignis eintritt. Wovor fürchten Sie sich wirklich, wenn Ihre Frisur durcheinandergerät? Wird Ihr Partner oder Ihre Partnerin Sie tatsächlich verlassen, wenn Sie beim Sex furzen? (Wir wissen nicht, ob das häufig vorkommt, aber es kann immerhin passieren.) Oder Sie unattraktiv finden? Vermutlich nicht. Indem Sie sich Ihre Ängste bewusst machen, ist bereits ein großer Schritt getan. Nun aber geht es weiter. Denn beim nächsten Mal riskieren Sie es einfach einmal, sich so zu bewegen, wie Sie gerade möchten. Fangen Sie wieder mit Punkt 1 an. In welcher Stellung werden Ihre Haare am ehesten verwirbelt? Dann ist das jetzt die richtige für Sie. Und spüren Sie, wie viel schöner es ist, welches Glücksgefühl sich ausbreitet, wenn Sie sich nicht dauernd kontrollieren müssen. Und so gehen Sie Ihre Liste Punkt für Punkt durch.

Diese Methode nennt man in der Psychotherapie systematische Desensibilisierung. Eigentlich geht es dabei um Ängste und Phobien. Sie können damit lernen, sich einer pelzigen Vogelspinne bis auf wenige Millimeter zu nähern, während Sie vorher schon vor dem kleinsten achtbeinigen Insekt Reißaus genommen haben. Mit dieser Methode lernen Sie aber auch die Hingabe. Sie gestatten sich schrittweise, immer mehr Regeln aufzugeben, die Sie bislang im Bett bestimmt haben. Sie vollziehen nicht mehr nur die Missionarsstellung, weil Sie denken, so sieht man Ihren dicken Po am wenigsten. Sie werden Ihren Partner lecken und sich in seinen Schoß vergraben, ohne auch nur einen Gedanken an Ihre Haare zu verschwenden. Sie werden Ihrem Partner erlauben, zärtlich zu Ihrem After zu sein, wenn Sie den Wunsch danach verspüren, ohne Angst vor Entweichungen irgendwelcher Art zu haben. Sie werden sich im Bett immer mehr gehen lassen. Dabei werden zwangsläufig einige Dinge aus Ihrer Liste passieren. Doch nun merken Sie: Ihr Partner läuft nicht weg, sondern wird so begeistert von Ihrer neuen Hingabefähigkeit und Leidenschaft sein, dass er die vermeintlichen Peinlichkeiten gerne in Kauf nimmt. Ja mehr noch, er wird sie sehr wahrscheinlich nicht einmal bemerken. Indem Sie schrittweise positive Erfahrungen mit der Hingabe machen, finden Sie den Mut, noch ein bisschen weiter über sich hinauszuwachsen und sich noch ein bisschen mehr zu trauen.

Jeder Mensch, der nach Hingabe strebt, kann auch aus der sadomasochistischen Szene lernen – ohne dass Sie derartige Neigungen entwickeln müssen. Das Besondere daran: Das Warten wird ganz groß geschrieben. Es beginnt mit der sprachlichen Vorbereitung: »Warte bis heute Abend, dann wirst du für deine Vergehen so bestraft, wie du es wünschst. Denke darüber nach, wie du dir die Bestrafung wünschst. Und du weißt auch, dass ich (als der »Strafende«), so lange warte, wie du es brauchst.« Oder: »Warte noch eine Stunde, erst dann sollst du aus deiner misslichen Lage, die dich erniedrigt und quält – dich aber anmacht – erlöst werden.« Das Spiel darin besteht, dass derjenige, der bestraft werden soll, sich nach der Strafe (Schläge auf den Po, Peitsche, Fesseln) sehnt und derjenige, der straft, eine zusätzliche Qual ausübt, indem er die Strafe verwehrt. Damit sind wir jetzt beim Thema Hingabe angelangt: Beide Partner sind durch die Regeln des Sadomaso-Spiels gezwungen, sich ausschließlich und ganz auf den momentanen Vorgang zu konzentrieren, um sich schließlich gegenseitig die höchste Lust zu bereiten. Dabei sind die Sinne und der Verstand in hohem Maß gefordert, und alle anderen Gedanken verschwinden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die totale Hingabe und gilt für jede Art von Sexualität.

Wenn Ihnen die Hingabe besonders schwer fällt, dann machen Sie eine Vorübung: Setzen Sie sich in Ihren gemütlichen Lesesessel und überlegen Sie, in welchen Situationen Sie Raum und Zeit vergessen können. Manchen gelingt dies beim Musikhören, anderen beim Tanzen, Lesen, Klettern, Skifahren oder auch beim Kochen. Stellen Sie sich den Zustand genau vor und versuchen Sie, sich in das schöne Gefühl hineinzuversetzen. Denn auch in diesen Situationen geben Sie sich hin, nämlich an das, was Sie gerade tun. Wenn Ihnen das Hineinversetzen gelungen ist, dann stellen Sie sich vor Ihrem geistigen Auge vor, wie Sie mit Ihrem Partner im Bett liegen. Erspüren Sie den anderen. Stellen Sie sich den Sex in Einzelheiten vor. Die Hände des anderen, wie sie über Ihren Körper streicheln oder Sie energisch anfassen. Auf diese Weise verknüpfen Sie in Ihrer Vorstellung die bekannte Situation etwa des Musikhörens mit der Sexualität. Machen Sie diese Vorübung täglich. Stellen Sie sich jedes Mal eine neue Einzelheit aus Ihrem Sexualleben vor. Auf diese Weise bilden Sie eine Verknüpfung zwischen der Hingabe und der Sexualität, die sich im Bett dann auch automatisch einstellt.

Und nun noch ein praktischer Tipp aus der Biochemie speziell für Frauen: Nehmen Sie Ihren Partner beim Sex immer mal wieder in den Arm und streicheln Sie ihn an allen Stellen des Körpers. Es heißt zwar, Männer seien schwanzfixiert und hätten nur dort erogene Zonen. Aber denken Sie an die Oxytocin-Ausschüttung, die Sie damit anregen. Stärken Sie mit Zärtlichkeiten sein Vertrauen und sein Einfühlungsvermögen und damit seine Hingabefähigkeit.

Erscheint Ihnen das alles zu kompliziert? Dann können Sie sich natürlich auch zurückhalten und somit Peinlichkeiten gar nicht erst riskieren. Aber das wäre sehr schade. Denn damit riskieren Sie trotzdem etwas, nämlich dass Ihr Orgasmus an der Oberfläche bleibt und nicht so tief und erfüllend wird, wie es seinem Potenzial entspräche.